Die Arbeiten von Natalie Neumaier zeichnen sich durch ein Schreiben und Zeichnen aus, die ineinander übergehen, auseinander hervorgehen und sich in die Schrift genauso einzeichnen wie sie sich in die Zeichnungen einschreiben. Das Lesen, die Lektüre des von ihr Geschriebenen und Gezeichneten kommt nicht umhin, dem Sichtbaren etwas abzulesen und der Schrift eine Herkunft aus dem Zeichnen anzusehen. Wenn sich Schrift an eine Lesbarkeit wendet, so zeichnet sich in ihren Aufzeichnungen ein Übergang zur Unleserlichkeit ab, eine Übersetzung des Buchstäblichen ins Gezeichnete, eine Beschreibung des Schreibens als eine Form des Zeichnens. Die Zeichen werden rückübersetzt in Gezeichnetes: Was für eine phonetische Schrift gehalten werden mag, die den Klang der Stimme sichtbar notieren und damit einen Dialog von Auge und Ohr in Gang setzen soll, wird rückübersetzt in Spuren eines Vorzeichens, einer Ankündigung von Schrift. Anstelle bloß zu schreiben, tendieren die Arbeiten von Neumaier dazu, der Schrift etwas vorzuzeichnen, ein Momentum vor der Schrift, die erst auf das Buchstäbliche zusteuert…oder den Vorschriften der Schreibweise trotzt. Neumaier führt das Schreiben und Zeichnen in eine Zone der permanenten Übersetzung ineinander, die eine Entscheidung darüber, ob die Blätter nun für Schriften oder Zeichnungen gehalten werden sollen, der Unentscheidbarkeit überantwortet. Entschieden plädieren sie für ein Zwiefaches, einen Raum des Dazwischen, der der Aufteilung in Schrift und Zeichnung vorgelagert wird. Die Lektüre ist mehr als ein Lesen und das Lesen lässt sich nicht davon abhalten, dem Verlauf der Buchstaben buchstäblich zu folgen. Wenn ihre Arbeiten aus der Entfernung dem Diffusen das Wort reden, einen Eindruck von Unschärfe vermitteln, dann zeichnet sich aus der Nähe gesehen ein Diffundieren ab, ein Streuen und Verstreuen von Strichen und Punkten, die ihren Gegenstand gleichermaßen auflösen wie konfigurieren. Hier wird Bedeutung verstreut, der Dissemination das Wort geredet.
Dass sich Neumaier in ihrem Interesse für Literatur dieser Dissemination von Bedeutungen verbunden fühlt, zeigt sich auch an den Autor*innen, mit denen sie sich immer wieder und wiederholt auseinandersetzt: Allen von voran mit Hélène Cixous, mit Maurice Blanchot, Inger Christensen, Walter Benjamin – mithin Autor*innen, die sich in ihren Modi des Schreibens immer wieder und wiederholt über die Vorschriften von Schreibweisen hinweggesetzt haben, die nicht davor zurückgeschreckt sind, ihre Schriften an die Grenzen der Lesbarkeit und über diese hinaus zu tragen. Neumaier schreckt nicht davor zurück, deren Texte nochmals ins Auge, in den Mund zu nehmen, zur Hand zu nehmen und die entsprechenden Passagen oder Wörter zu markieren, die Momente der Streuung herauszustreichen, anzuzeichnen, wo das Zeichnen mit Wörtern dem Beschreiben durch Wörter vorauseilt. Ihre Notationen notieren die Dialoge von Auge und Ohr, sie schreiben sich ein und verzeichnen die Zonen vervielfachter Lesbarkeit, eine Mehrsprachigkeit, die in jedem Wort lokalisiert und aus diesem herausgelesen und ausgelöst wird. Was sich wie ein Hybrid aus Texten und Zeichnungen vermittelt, trägt eine Losung in sich. Im Auflösen der Grenzen zwischen den Genres zeichnet sich eine Losung ab, ein Losungswort, das sich in der Zeichnung tendenziell auflöst, ein Passwort, das in seiner Unaussprechlichkeit eine Passage öffnet. Mit ihren Markierungen und Notationen nimmt Neumaier die Wörter und Buchstaben einzeln in die Hand und zerkaut ihre Lesbarkeit, kratzt grafisch an den Erscheinungsbildern von Bedeutung.